Ethische Werte von Märchen
Spieglein, Spieglein an der Wand ...
Märchen sind wie ein Spiegel des Lebens, sie reden in Bildsprache von Schicksalen und Entwicklungsmöglichkeiten eines jeden einzelnen Menschen. Wenn wir in den Spiegel schauen, sehen wir mit unseren Augen das Äussere; die Märchen aber sprechen von inneren Bildern, vom Blick in die Seele. Sie bringen in unserer Seele etwas zum Schwingen, etwas, das unserem Leben einen Sinn und eine Deutung geben kann.
„Kindern erzählt man Geschichten zum Einschlafen – Erwachsenen, damit sie aufwachen“ Bucay Jorge: 2011
Erwachsene können nicht mehr mit den Augen eines Kindes sehen, sie haben die Fähigkeit verloren zu staunen und zuzuhören. Märchen können helfen, alltägliche Wunder wieder sehen zu lernen, mutig aus den Tiefen unseres oft festgefahrenen Gedankengefängnisses aufzutauchen und uns vertrauensvoll wieder dem Leben hinzugeben.
... und die Moral von der Geschicht ...
Jedes Märchen erzählt von Sozialverhalten, Vernunft und Mitgefühl, von Mut, Vertrauen und Zufriedenheit, von Glück und Freude, Herzlichkeit und Gnade. Es ist die Freude am Tun zum eigenen Wohl und dem der Menschheit, mit Demut, vorurteilsfrei und respektvoll und mit einer gewissen Selbstbesinnung.
Hochmut kommt vor dem Fall
Hochmut und Stolz werden bestraft, allerdings nie mit Gewalt, sondern mit märchenhafter List. Auch lehrt uns das Märchen, dass Geiz und Hass, Reichtum und Macht hinderlich sind, um unsere wahre Quelle zu finden.
Hans im Glück
Wir jagen ständig dem Glück hinterher und streben nach Vollkommenheit und Glückseligkeit. Dabei erkennen wir nicht, dass das Glück bereits in uns ist. Das Glück kommt nicht von aussen. Das Glück liegt in uns. Es gibt lediglich Ereignisse, die ein Glücksgefühl in uns auslösen. Die Glückseligkeit aber ist unser ureigenes Wesen.
Als das Wünschen noch geholfen hat
Statt zu glauben, meinen wir zu wissen; statt zu wünschen, wollen wir; statt ehrfürchtig das Leben zu betrachten, herrschen wir. Das Märchen zeigt uns, dass die Frage nach dem Sinn des Lebens in allen Völkern schon immer eine zentrale Frage war. Allerdings geschieht das Wunderbare erst, wenn die Wünsche sterben. Mit Demut kommen wir der Antwort einen Schritt näher.
Märchen sind Weisheitsgeschichten, die das Leben schrieb.
Der kostbare Stein
Einst lebte in Nordindien eine alte weise Frau. Sie hatte sich für mehrere Monate zum Meditieren in die Berge zurückgezogen. Auf ihrem Rückweg hinunter ins Dorf hatte sie mitten auf dem Weg einen grossen kostbaren Stein gefunden.
Es dauerte nicht lange, da kam ein hungriger Wanderer ihres Weges. Die Alte öffnete ihren Rucksack, um mit ihm von ihrem Essen zu teilen. Dabei fiel der Blick des Wanderers auf den kostbaren Stein und er betrachtete ihn voller Ehrfurcht.
Als die weise Frau sah, wie sehr der Stein dem Fremden gefiel, nahm sie ihn aus ihrem Rucksack und schenkte ihn dem Wanderer.
Dieser war ausser sich vor Freude und setzte alsbald überglücklich seinen Weg fort. Er wusste, dass der Stein so wertvoll war, dass er für den Rest seines Lebens keine Geldsorgen mehr haben würde.
Aber schon einige Tage später suchte er überall nach der alten Frau. Er hörte, dass sie in ihr Heimatdorf zurückgekehrt war. Er fand sie in einer einfachen Hütte am Wegesrand und gab ihr den kostbaren Stein zurück.
„Ich habe nachgedacht“, sagte er, „ich weiss, wie wertvoll dieser Stein ist, aber ich möchte ihn dir wieder zurückgeben und dich bitten, mir etwas viel Wertvolleres zu geben: Sag mir bitte, was dich dazu veranlasst hat, mir als Fremden diesen Stein einfach so zu schenken?“
Bernd Balaschus: Yoga Geschichten. 2011.